Die Idee
Der Prozess der europäischen Integration, an dem seit Jahren Bosnien-Herzegowina beteiligt ist, haben mussten und haben andere osteuropäische ehemalige sozialistische Länder, die jetzt Mitglieder der Europäischen Union sind durchlaufen. Die Hauptaufgaben vor dem EU-Beitritt waren die rechtlichen, sozialen, und wirtschaftlichen Reformen der ehemaligen sozialistischen Staaten, des sogenannten Ostblocks, und die Akzeptanz der Grundsätze der Menschenrechte, der liberalen Demokratien und der freien Marktwirtschaft westeuropäischer Länder. Unmittelbar nach dem EU-Beitritt erleben alle postsozialistischen Länder eine starke wirtschaftliche Entwicklung, einen Anstieg der Löhne und der Industrieproduktion sowie eine Stärkung der Demokratie. Nach einigen Jahren ändert sich jedoch die politische Kultur in einigen osteuropäischen Ländern, was sich in einer allmählichen, aber schärferen Kritik des zuvor akzeptierten und proklamierten Wertesystems widerspiegelt, die zu offenen Konflikten zwischen nationalen Politikern einiger neuer EU-Staaten mit den zentralen Institutionen der EU und den Regierungen älterer EU-Staaten führt. Diese Missverständnisse und Konflikte kommen hauptsächlich aus Ländern wie Ungarn, Polen, der Slowakei und in bestimmten Fragen aus Kroatien, wo postsozialistischer Nationalismus, Euroskepsis, Faschismus, Stärkung der staatlichen Kontrolle über soziale und akademische Prozesse, Hass auf Flüchtlinge, aber auch Kritik der politischen und soziokulturellen Praktiken der alten EU-Mitglieder immer dominanter werden. Diese Euroskepsis ist in Großbritannien natürlich schon lange präsent und hat letztendlich dazu geführt, dass Großbritannien die EU verlassen hat. Sie beruhte jedoch hauptsächlich auf wirtschaftlichen Fragen, während die osteuropäische Euroskepsis von kulturellen und gesellschaftlichen Unterschieden oder Inkonsistenzen in kulturellen und gesellschaftlichen Werten West- und Osteuropas geprägt ist.
Dieser kulturelle und soziale Aspekt der europäischen Integration wurde während der EU-Erweiterung nicht speziell behandelt oder kontrolliert, da fälschlicherweise an die Universalität des Humanismus und der europäischen Aufklärung, an die allgemeine Verständlichkeit und Akzeptanz der europäischen Idee und die Idee Europas als Wertegemeinschaft geglaubt wurde. Das erweist sich heute als Fehler. Heute ist die EU von innen ziemlich instabil und sehr träge in der globalen Weltpolitik, da die osteuropäischen Länder begonnen haben, das vom Europäischen Parlament definierte Wertesystem öffentlich zu untergraben:
„The European Union’s fundamental values are respect for human dignity and human rights, freedom, democracy, equality and the rule of law. These values unite all the member states – no country that does not recognise these values can belong to the Union.“
Was bei der EU-Integration nicht ausreichend berücksichtigt wurde, ist, dass die oben genannten Begriffe Menschenwürde, Menschenrechte, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und viele andere, die in der öffentlichen Kommunikation für die EU-Werte stehen, in unterschiedlichen Gesellschaften im Wesentlichen nicht dasselbe bedeuten. Mit anderen Worten: freedom / Freiheit / la libertà / liberté / vrijheid sind Wörter verschiedener Sprachen, die alle Freiheit bedeuten, aber im Hintergrund dieser Wörter nicht unbedingt dieselben mentalen Repräsentationen oder Konzepte aufweisen. Diese Konzepte werden in unterschiedlichen Sprachen unterschiedlich konzipiert, weil soziale Werte in diesen Gesellschaften unterschiedlich wahrgenommen werden: Das Konzept der Freiheit ist in Deutschland, Finnland oder Bosnien und Herzegowina nicht dasselbe, und das Gleiche gilt für die Konzepte des Staates, des Nationalen, des Globalen, der Zukunft und Zukunftsangst, für das Konzept der Demokratie, das Konzept der Arbeit und der Arbeiter oder viele andere Konzepte, die gesellschaftlich relevante Werte implizieren. Der Grund für diese Unterschiede liegt in unterschiedlichen Traditionen, Geschichten, Einstellungen gegenüber Religion und Staat, gegenüber dem Anderen und dem Unterschiedlichen gegenüber einer gemeinsamen Geschichte und dergleichen.
Für den Weg Bosnien und Herzegowinas in die EU ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Bürger*innen und Regierungen Bosnien- Herzegowinas auf ihrem langen und anspruchsvollen Weg nicht nur mit Reformen im Bereich Gesetzgebung und Wirtschaft, sondern auch im Bereich Kultur und Gesellschaft mit den semantischen Aspekten der oben genannten Wörter im europäischen Kontext vertraut sind.
Als Beispiel für ein Land des europäischen Kontextes steht in diesem Projekt stellvertretend Deutschland. Mit anderen Worten: Für den EU-Beitritt Bosnien-Herzegowinas ist es notwendig, das zuvor erwähnte europäische Wertesystem zu verstehen, damit sowohl Politiker*innen als auch Bürger*innen klar wird, was die kulturellen und sozialen Aspekte der europäischen Integration bedeuten, ohne dass die Bürger*innen Bosnien-Herzegowinas eine gewisse Euroskepsis oder Enttäuschung erfahren, was in vielen anderen osteuropäischen Ländern deutlich zu sehen ist.
Das HoWeKo-Projekt wird vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Jugend des Kantons Sarajevo finanziell unterstützt